Interview mit dem Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz zum Urban Thinkers Campus und den Umgang der Städte mit Flüchtlingen

Der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz erhofft sich von dem Urban Thinkers Campus, der vom 17.- 19. Februar 2016 in der Quadratestadt stattfindet, Antworten auf die Integration der Flüchtlinge, die langfristig in seiner Stadt leben werden. „Die eigentliche Herausforderung der Integration liegt noch vor uns“, so der SPD-Politiker, in dessen Stadt derzeit rund 11.000 Flüchtlinge untergebracht sind.

Herr Dr. Kurz, wie viele Flüchtlinge leben derzeit in Ihrer Stadt?

Dr. Peter Kurz: Im Moment sind rund 11.000 Flüchtlinge in Mannheim untergebracht. Die Quadratestadt ist Standort einer Landeserstaufnahmestelle (LEA) und von drei Bedarfserstaufnahmeeinrichtungen (BEA) und befindet sich damit in einer Sondersituation. Ich gehe davon aus, dass zusammen mit den Flüchtlingen, die hier schon geduldet aufhalten, im Stadtgebiet bis zu 13.250 Flüchtlinge leben werden.

Wie werden diese Flüchtlinge untergebracht?

KURZ: Diese große Zahl von Menschen unterzubringen ist nur möglich, weil in Mannheim mehrere ehemalige US-Kasernen belegt werden können. Flüchtlinge, die ein Bleiberecht haben, werden dezentral in Wohnungen vermittelt. Die Unterbringung ist schon jetzt die größte Herausforderung der Städte: finanziell, logistisch und sozial. Die Kommunen müssen die notwendigen finanziellen und organisatorischen Mittel erhalten, um Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen.

Wie ist das Verhältnis zwischen den einzelnen Flüchtlingsgruppen in der Stadt?

KURZ: Das gestaltet sich zunehmend schwierig. Was nicht verwundert, wenn bis zu 9000 Menschen in einer Kaserne untergebracht werden müssen. Auch und gerade mit Blick auf Köln und Hamburg und auch auf Erfahrungen, die wir vor Ort machen, muss klar sein: an der Fähigkeit und dem Willen zur Durchsetzung unserer Rechtsnormen darf kein Zweifel sein. Und wir müssen in der Lage sein, im Einzelfall auch ausländerrechtliche Konsequenzen zu ziehen und vor allem auch umzusetzen.

Wie ist das Verhältnis zwischen den Einwohnern und den Flüchtlingen in Ihrer Stadt?

KURZ: Mannheim ist traditionell durch Einwanderung geprägt. In den letzten sieben Jahren sind 9200 Menschen aus Rumänien und Bulgarien zugewandert. Hier leben Menschen aus 170 Nationen. Toleranz und ein friedliches Miteinander prägen das gesellschaftliche Klima in der Stadt. Intoleranz und Xenophobie treten wir entschieden entgegen. Wir haben als Stadt schon 2009 mit den Religionsgemeinschaften eine Mannheimer Erklärung zu Toleranz und Respekt verabschiedet. Diese wollen wir nun noch erweitern. Die Hilfsbereitschaft der Mannheimer ist weiterhin immens, wenngleich wir auch bemerken, dass sich die Stimmung durch die Vorkommnisse in der Neujahrsnacht in Köln, Hamburg und Stuttgart auch bei uns verändert.

Wie können die Städte die Flüchtlingskrise bewältigen?

KURZ: Mannheim verfügt über eine große Erfahrung in der Integration von Zuwanderern. Aber die aktuelle Flüchtlingszuwanderung stellt uns vor eine Herausforderung von historischen Ausmaßen. Voraussetzung ist, dass die Zugangszahlen nun sehr schnell in diesem Jahr sinken. Die Rahmenbedingungen setzt internationale, europäische und nationale Politik. Die Ursachen von Flucht müssen wirksam und unverzüglich bekämpft werden und die staatliche Ordnung in den Staaten des Mittleren Ostens wiederhergestellt werden. Außerdem muss die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in der EU besser geregelt und die Außengrenzen besser geschützt werden. Es geht um die Bewahrung unserer Staatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Wenn die Zuwanderung in der derzeitigen Dimension andauert, wird es schwierig, individuelle Rechte zu gewähren und gleichzeitig Grundwerte zu vermitteln.

Die Stadt Mannheim richtet vom 17.- 19. Februar einen „Urban Thinkers Campus“, in Kooperation mit UN-Habitat’s World Urban Campaign, aus. Warum beteiligt sich Mannheim an diesem Prozess?

KURZ: Mannheim versteht sich als globale und internationale Metropole. Wir engagieren uns in den Eurocities und sind zuletzt als „UNESCO City of Music“ ausgezeichnet worden. Außerdem werden wir Teil des internationalen Parliament of Mayors sein. Die Beteiligung an der Internationalen Debatte über die Zukunft der Städte verstehen wir als Teil unseres Modernisierungsprozesses. Dass wir als einzige Stadt in Deutschland und als eine von sieben in Europa an diesem Programm im Rahmen einer Partnerschaft mit der World Urban Campaign des Siedlungsprogramms der Vereinten Nationen (UN-Habitat) teilnehmen können, zeigt, dass wir auch international als Stadt wahrgenommen werden, die Zukunft denkt und lebt.

Wie läuft dieser Urban Thinkers Campus ab?

KURZ: Rund 450 Teilnehmer werden zu dem Kongress in Mannheim erwartet, der mit einigen der wichtigsten Städteforschern aufwarten kann. Keynote Speaker sind unter anderem Benjamin Barber, ehemaliger Berater von US-Präsident Bill Clinton, Charles Landry, führender Städteforscher und Erfinder des „Creative Cities“-Konzeptes sowie Ana Lisa Boni, Generalsekretärin von EUROCITIES. Damit nicht nur über sondern auch mit den Flüchtlingen diskutiert wird, ist ein Flüchtlingsparlament geplant, das sich mit aktuellen Migrationsfragen und Konzepten für die Zukunft auseinandersetzen wird.

Was passiert mit den Ergebnissen des „Urban Thinkers Campus“ in Mannheim?

KURZ: Dem Mannheimer Urban Thinkers Campus kommt eine besondere Bedeutung zu, da er die lezte Station auf dem Weg nach Quito/Ecuador ist, wo im Oktober 2016 die „New Urban Agenda“ der Vereinten Nationen verabschiedet wird. Sie soll als politische Richtschnur für die weltweite Stadtentwicklung in den nächsten 20 Jahren gelten. Alle Campusse beschäftigen sich mit heutigen und zukünftigen Herausforderungen des urbanen Lebens und entwickeln Lösungsmodelle, die global auf Städte übertragbar sind. Sie folgen der Frage, wie die Stadt aussieht, die wir brauchen – „The city we need“. Mannheim wird unter anderem seine Erfahrungen mit Migration und der Integration von Flüchtlingen einbringen.

Welche Ergebnisse erwarten Sie?

KURZ: Die eigentliche Herausforderung der Migration liegt noch vor uns. Eine große Zahl von Flüchtlingen von heute werden unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger von morgen. Das Gelingen der Integration dieser Menschen ist entscheidend für die soziale und ökonomische Zukunft der Städte. Wir müssen diesen Menschen als Menschen begegnen – offen und nicht beladen mit Angst und Misstrauen. Die vielen, teils emotionalen Diskussionen der letzten Monate haben immerhin Ergebnisse gebracht. Zum Beispiel, dass es uns bei der Zuwanderung der letzten Jahrzehnte zuwenig gelungen ist, Wege in die Gesellschaft, Wege des Aufstiegs zu eröffnen und dass wir das ändern müssen. Dass wir unsere Grundwerte wieder in den Mittelpunkt des Verständigungsprozesses stellen müssen. Dass wir ein Einwanderungsland sind und die Menschen, die hier arbeiten wollen, legale Perspektiven der Zuwanderung bekommen müssen. Dass wir mehr internationale Verantwortung übernehmen müssen, damit gerechtere Verhältnisse in den Herkunftsländern hergestellt werden.

Was folgert daraus?

KURZ: Mit der Integration der Menschen mit Bleibeperspektive muss unmittelbar begonnen werden, insbesondere durch Spracherwerb, Arbeitsmarktintegration und Zugang zum Bildungssystem. Aber auch durch Einschränkung des Leistungsbezugs aus der Sozialhilfe, wenn keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt besteht.

Hat Mannheim hier schon eigene Anstrengungen unternommen?

KURZ: Wir sind in Mannheim für die Herausforderungen der Integration gerüstet. Die seit Jahren geleistete Integration und Erfahrung wird sich auszahlen. So haben wir vor 15 Monaten als Kommune einen eigenen Entwicklungsplan Bildung und Integration vorgelegt, weil wir wissen, dass ohne „Bildungserfolg in der Einwanderungsgesellschaft Integration und damit Teilhabe und Zugehörigkeit nicht gelingen kann. In einer Stadt, in der knapp 60 Prozent der unter 18-Jährigen aus Zuwandererfamilien stammen, sind unsere erzielten Fortschritte wie die Halbierung des Sprachförderbedarfs oder der Zahl der Schulabbrecher auch unmittelbare Integrationserfolge.

Fürchten Sie, dass die Konflikte aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge in Ihrer Stadt weiter ausgetragen werden?

KURZ: Um dies zu verhindern, werden wir unsere Mannheimer Erklärung zum Geist der Offenheit, der Toleranz und der Verständigung nun erweitern. Es geht jetzt darum, dass sich alle auch gegen die Herabwürdigung und Ausgrenzung wegen des Geschlechts, Alters, einer Behinderung oder sexuellen Orientierung aussprechen. Wir wollen diese Erklärung im Februar, also rund um den Urban Thinkers Campus verabschieden. Sie ist genau das, was in Talkshows so gerne eingefordert wird: ein gemeinsames Bekenntnis zu Werten und zu Regeln des Umgangs. Sie kann auch Basis zur Vermittlung von Regeln von Menschen mit Migrationshintergrund an neue Zuwanderer sein. Konflikte in den Herkunftsländern dürfen das friedliche Zusammenleben in unserer Stadt nicht gefährden. Unser Leitbild ist nicht Multi-Kulti, sondern das Zusammenleben in wechselseitiger Achtung auf Basis gemeinsam geteilter Werte.

 

Zur Person: Dr. Peter Kurz (53) ist seit 2007 Oberbürgermeister von Mannheim. 2015 wurde er für eine zweite achtjährige Amtszeit als Oberbürgermeister bestätigt. Zuvor war er ab 1994 Vorsitzender der SPD-Gemeinderatsfraktion und ab 1999 Bürgermeister für Bildung, Kultur und Sport in Mannheim.

 

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Urban Thinkers Campus, Mannheim

Die Urban Thinkers Campusse basiert auf einer Initiative von UN-Habitat. UN-Habitat verfolgt das Ziel der Förderung nachhaltiger, urbaner Entwicklung. Die Urban Thinkers Campusse fungieren als offener Raum für den innovativen Austausch zwischen urbanen Akteurinnen und Akteuren und dienen als Input für gesellschaftliche Weiterentwicklung. Der Urban Thinkers Campus in Mannheim vom 17.- 19. Februar 2016 wird unterstützt von den Unternehmen BASF, Fuchs Petrolub, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der „Servicestelle der Kommunen in der einen Welt“.